Vita Prof. Dr. med. Johannes Hellinger

Prof. Dr. med. Johannes Hellinger: fachlich-wissenschaftliche Entwicklung

nach H. Hornuf, R. Franz, S. Hellinger, U. C. Hellinger, C-P. Heidel, S. Stern, W. Klein, L. Hottenrott, R. Herrn, H. G. Grasshoff, R. Bethge, K.-P. Günther

Geboren am 20. November 1935 in Marieney/Vogtland.
Johannes Hellinger legte nach Besuch der Oberschule Oelsnitz/Vogtland das Abitur ab und studierte anschließend bis 1959 Medizin an der Universität Leipzig und Medizinischen Akademie Erfurt.
Bereits 1959 wurde er unter Vorlage der Dissertation „Thromboembolie und postthrombotisches Syndrom an der Frauenklinik der Medizinischen Akademie Erfurt in den Jahren 1953–1956“ an der Universität Leipzig promoviert.
1960 begann er die Facharztausbildung an der Chirurgischen Klinik der Medizinischen Akademie Erfurt bei Schwarz, Becker und neurochirurgisch ausgerichtet unter Usbeck, die er 1967 mit der Anerkennung als Facharzt für Chirurgie abschloss. Noch im gleichen Jahr nahm er – inzwischen Oberarzt der Chirurgischen Klinik mit Lehrauftrag „Zur Pathophysiologie des chirurgischen Eingriffes und der Narkose“ – eine Facharztausbildung an der Orthopädischen Klinik der Medizinischen Akademie Erfurt auf. 1969 erwarb er die Anerkennung als Facharzt für Orthopädie.
Mit der Arbeit „Der Einfluss orthopädischer Operationen auf Blutgerinnung und Fibrinolyse“ habilitierte sich Hellinger 1969 und wurde zum 01.06.1970 als Hochschuldozent für Orthopädie an der Medizinischen Akademie Erfurt berufen. 1974 wurde ihm in Anerkennung für seine weiteren wissenschaftlichen Arbeiten der Titel Dr. scientiae medicorum verliehen.
Nebenamtlich betreute er die palliative Hufeland-Klinik für inkurable Karzinomkranke in Erfurt.

Sein Gespür für Fortschritt hatte ihn an das ZITO=Zentralinstitut für Traumatologie und Orthopädie Moskau, zu Maurice Müller in die Schweiz und auch 1970 zu Ilisarow nach Sibirien geführt. Es gelangen ihm für die damalige Zeit einige bahnbrechende Neuerungen wie ventrale operative Zugänge zur Wirbelsäule, zusammen mit R. Kyselka 1968 die ventrale HWS-Fusion nach Cloward/Robinson, und in der Endoprothetik, die perikapsuläre Ileumosteotomie nach Pemberton, Synovialektomie und Knie-TEP`s bei Hämophilen oder beispielsweise die drahtfixierte äußere Fixation nach Ilisarow, verbunden mit Extremitätenverlängerungen und der Pseudoarthrosedistraktion, einzuführen. Mit R. Berndt/TH Ilmenau entwickelte er die bipolare Rechteckimpulsstimulation zum Anregen der Knochenheilung

Prof.Hellinger, Dresden 1976

Im Oktober 1974 wurde Hellinger als ordentlicher Professor für Orthopädie an die Medizinische Akademie „Carl Gustav Carus“ in Dresden berufen. Durch außergewöhnlich hohen persönlichen Einsatz, den Hellinger auch von allen seinen Mitarbeitern forderte – oft in seiner „vogtländisch-kantigen Art“, wie er heute selbst sagt – konnte die Orthopädische Klinik ihren guten Ruf, den sie sich in 20 Jahren schon erarbeitet hatte, noch wesentlich verbessern. In kurzer Zeit erreichte die Klinik eine Spitzenposition innerhalb der DDR-Orthopädie.
Die grundlegende chirurgische Ausbildung auf breitester Basis, die großzügige Förderung durch R. Kyselka und der Besuch vieler orthopädischer sowie unfallchirurgischer Kliniken in der DDR, vorwiegend im damaligen Ostblock, jedoch auch bei Zielke/Tübingen, in der Schweiz, Österreich, Schweden, Niederlande und Straßburg/Frankreich sowie das bedingungslose Befolgen der AO-Kriterien schafften die Basis für eine sprunghafte Entwicklung der schon gut aufgestellten Dresdner Klinik.

Große Erfahrungen, die in aufopferungsvoller Tätigkeit gesammelt wurden, sowie hervorragende operative Fertigkeiten brachten ihm die Hochachtung seiner Kollegen, Schüler und unzähliger Patienten ein. Nicht nur viele neue Operationsverfahren, genannt seien maximalinvasive Tumorchirurgie wie Amputatio intercleido-thoracalis, erweiterte Hemipelvektomie, Halbgelenkstransplantationen, die Ergänzung der operativen Skoliosebehandlung durch ventrale Eingriffe, Kolumnotomien bei verschiedenen Krankheitsbildern, transoropharyngeale Densverschraubung, die Unkoforaminektomie nach Jung mit interkorporeller Fusion bei segmentaler Instabilität, externe Fixationsverfahren an den Extremitäten bis zur Halo-Pelvic-Instrumentation bei Skoliose mit schwerster lumbaler Lordose, zunehmend auch traumatologische Indikationen vervollständigten das Operationsspektrum.

Auch im nichtoperativen Bereich wurden neue Maßstäbe gesetzt. Die Einführung erweiterter Röntgendiagnostik verbesserte die präoperative Planung. Ab 1974 erhielt jeder Arzt eine Anästhesieteilausbildung, so dass jeder Arzt die Technik der Intubations- und Inhalationsnarkose mit modernen Narkosemitteln anwenden konnte. Ab 1978 wurden viele Eingriffe in Lumbal-, Leitungs- oder Lokalanästhesie durchgeführt. Dadurch konnten auch Patienten von der überlangen Warteliste mit hohem Narkose- und Operationsrisiko operiert werden. 1978 wurde ein „Wachzimmer“ mit 7 Betten eingerichtet. Damit war es möglich frischoperierte und überwachungsbedürftige Patienten in der Klinik zu betreuen. Nur beatmungspflichtige Patienten mußten auf die chirurgische Intensivstation verlegt werden. Unfallverletzte Patienten wurden in der 6 bis 8 Stundengrenze versorgt. Es wurde somit der modernen Definition des Begriffes „Orthopädie“ als der Lehre von den Erkrankungen und Verletzungen des Haltungs- und Bewegungsapparates voll Rechnung getragen.

Johannes Hellinger hat sich immer für die Gesamtheit des Fachgebietes Orthopädie eingesetzt. 1978 als Vorsitzender der Gesellschaft für Orthopädie der DDR trat er für das Einbeziehen der Manuellen Therapie auf wissenschaftlicher Basis ein.

Bereits 30 Jahre vor der vollzogenen Fusion Orthopädie und Unfallchirurgie war Hellinger ein Verfechter dieser Zusammenführung. 1979 lehnte er den Ruf an die Humboldt-Universität Charité/Berlin ab, da zu diesem Zeitpunkt die von ihm geforderte Fusion von Orthopädie und Skeletttraumatologie, wie sie in vielen Ländern ohnehin üblich war, gegenüber der Partei – und Staatsführung der DDR nicht durchgesetzt werden konnte.

Das umfangreiche Tätigkeitsspektrum und auch die gern angenommene Pflicht zur wissenschaftlichen Arbeit führten zum Betreuen vieler Promotionen. So kamen bis 1984 mit Franz, Dürrschmidt, Kleditzsch, Schulze, Manitz und Gummel aus der Dresdner Klinik sowie als Externe Mayer (Greifswald) und Miehle (Zwickau) zur Habilitation. Später folgten noch Fengler, Schubert und Beer nach von ihm angeregten und unterstützten Themen. Franz, Dürrschmidt, Schulze, Kleditzsch und Miehle erhielten damit noch verschiedene Wissenschaftspreise.

Johannes Hellinger arbeitete in mehreren Gremien und Gesellschaften aktiv mit. So war er 1976 Gründungsmitglied der AO-International Sektion DDR und ab 1977–1979 Konsultant beim Aufbau des COZ der Charité Berlin, 1978 Vorsitzender der Gesellschaft für Orthopädie der DDR, 1979–1984 Chefredakteur der Zeitschrift „Beiträge zur Orthopädie und Traumatologie“, 1979–1983 Mitglied des Rates für Medizinische Wissenschaften beim Ministerium für Gesundheitswesen der DDR, er ist Ehrenmitglied mehrerer internationaler Gesellschaften für Orthopädie, Traumatologie, Lasermedizin, Endoskopie der Wirbelsäule. 1975 erhielt Hellinger den Maxim-Zetkin-Preis der Gesellschaft für Klinische Medizin der DDR.

Johannes Hellinger - Dissident
Johannes Hellinger als Dissident 1987:
Die Erklärung warum auch ein Bart als Widerstand gegen das Regime angesehen werden kann, finden Sie im Buch „Blumen aus Eis“ von Udo Schönteich

Im Juni 1983 wurde Johannes Hellinger in einer spektakulären Aktion aus politischen Gründen fristlos entlassen und einer systeminhärenten Damnatio memoriae sowie Abolitio nominis ausgesetzt (Dokumentation Namenslöschung). Bis 1988 lebte er als Dissident mit seiner Familie in Dresden, wo er den konspirativen DDR-weiten „Arbeitskreis für medizinisch-theologische Grenzfragen“ als Widerstandsgruppe gründete. In dieser Zeit entstand die Sammlung für das Buch „Meßmethoden der Skelettradiologie“. 1992 erfolgte in Dresden Hellingers politische Rehabilitation.

Prof. Hellinger, Düsseldorf 1988
Prof. Hellinger, Düsseldorf 1988

Die Ausreise in die Bundesrepublik gelang 1988 mit Hilfe des Bundeskanzlers Dr. Kohl.

Seit 1990 war er, nach mehreren Klinikshospitationen, initial bei K.P. Schulitz/Düsseldorf, und experimentellen Arbeiten zur laparoskopischen ventralen L5/S1 Fusion am Gerichtsmedizinischen Institut der Universität Erlangen und bei dem Gynäkologen Senn/Kiel, als niedergelassener Orthopäde und Belegarzt der Novamed-Klinik München tätig. 2008 wurde das neue ISAR-Medizin-Zentrum bezogen.

In der Zeit des Neubeginns im Westen Deutschlands beschritt er auch im extrauniversitären Bereich weiterhin neulandmedizinische Wege, wie die ventrale Wirbelsäulenstabilisation bei florider Spondylodiszitis, die pelvifemorale externe Distraktion mit dem Dynos-Apparat nach Schewior (Foto 1), dem Einführen der minimalinvasiven (Foto 2) perkutanen Laserdiskusdekompression-und nukleotomie 1989 und der weltweit ersten derartigen Operation an der Halswirbelsäule 1990. Mit J. Schimmler gelang 1994 die ventrale laparoskopische L5/S1-Spondylodese mit unilateraler dorsaler interlaminärer Verschraubung.

Foto 1: Dynos-Apparat nach Schewior
Foto 2: Novamed Klinik München

Johannes Hellinger kann auf eine sehr umfangreiche Publikationstätigkeit zurückblicken. Ein Buch, 56 Buchbeiträge, 204 Veröffentlichungen in Periodika, 396 wissenschaftliche Vorträge, 2 wissenschaftliche Filme und 40 sonstige Veröffentlichungen zeugen von seiner Hingabe zu unserem Fachgebiet und dem Kampf für die Orthopädie und Traumatologie.

Das umfangreiche Tätigkeitsspektrum zum Wohle seiner ihm anvertrauten Patienten, die Verantwortung für wissenschaftliches Arbeiten mit Betreuen von vielen Promotionen, zuletzt über seinen Habilitanden Prof. G. Mayer, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, wie von A. Remmler 1997 „Die nonendoskopische perkutane Neodym-YAG-(1064nm)-Laser Diskusdekompression und -nukleotomie bei zervikalen diskogenen Schmerzsyndromen“ sowie sein Engagement in Aus- und Weiterbildung forderten auch die gern angenommene Opferbereitschaft seiner geliebten Gattin Gertraud und der Söhne Ulf Christian und Stefan Klaus, zuletzt in produktiver gemeinsamer Arbeit über ein Jahrzehnt.

Portrait-Hellinge-Titelbildr
Prof. Johannes Hellinger, München

Im Jahre 2011 beendete Hellinger seine 51-jährige ärztliche Tätigkeit erfolgreich mit einer zweietagigen Laserdiskusdekompression und- nukleotomie an der Halswirbelsäule. Er freut sich über das Ergebnis eines niederländischen RCT „PLDD versus Microdiscectomy…“ mit dem Resultat der Noninferiority der Laseranwendung bei bandscheibenverursachten Schmerzen. Er lebt in München.